Samstag, 9. Februar 2013

Zweierlei Kriege - Der Nahostkonflikt auf der Berlinale

Als The Clash 1982 den Song "Rock the Casbah" veröffentlichten, wurde dieser auch als Kommentar auf die Machtergreifung durch die islamische Revolution 1979 im Iran Interpretiert. Deren politischer und religiöser Führer Ayatholla Khomenei hatte nicht nur dem alten Regime, sondern auch der Freiheit der Kunst und insbesondere der Rockmusik und dem Kino den Krieg erklärt.
Yariv Horowitz' gleichnahmiger Spielfilm, der in der Sektion Panorama der Berlinale zu sehen ist, übernimmt zwar von The Clash den provokanten Titel, ist aber an einem ganz anderen neuralgischen Zeitpunkt der jüngeren Geschichte des Mittleren Ostens angesiedelt. Er spielt zehn Jahre nach der iranischen Revolution, im Jahr 1989, in Gaza, Jahre bevor jene mit dem Hamas-Regime einen willfährigen Gehilfen in der Küstenregion installieren konnte. Den zeitgeschichtlichen Hintergrund bildet die erste Intifada, die Protagonisten sind junge Rekruten der israelischen Armee, die sofort nach ihrer Ankunft in einen ebenso ungleichen wie emotional und moralisch zermürbenden Straßenkrieg mit palästinensischen Jugendlichen geworfen werden.
Nachdem ein Mitglied der Einheit bei einer Razzia von einer herabstürzenden Waschmaschine erschlagen wird und die Täter flüchten können, sollen die vier verbleibenden Soldaten den Tatort, das Dach einer palästinensischen Familie, sichern und weitere Angriffe von Häuserdächern verhindern. Durch die Augen von Tomer (Yon Tomarkin, selbst erst 1989 geboren) werden die Zuschauer Zeugen der verfahrenen Situation. Horowitz orientiert sich weitgehend an den Konventionen des Antikriegsfilms, zeigt Spannungen und Verwerfungen innerhalb der Gruppe und gegenüber ihrer Außenwelt. Tomers Versuche, aus dem sinnlosen Treiben auszubrechen, bleiben erfolglos. Als die Soldaten den Ort verlassen, kommen bereits neue Rekruten und auch ihnen werden die 'Regeln' eines Krieges erklärt, in dem sich junge Israelis und Palästinenser gegenüberstehen.
Reflexhaft wurde ROCK THE CASBAH bereits als "Propagandafilm einer Besatzungsarmee" deklariert, nur weil sich der Film üblichen Gut-Böse-Schemata entzieht und mehr für die Ambivalenz des Krieges interessiert. Zwar hat man dadurch mitunter das Gefühl, einen Vietnamkriegsfilm vor der Kulisse von Gaza zu sehen, doch die Dramaturgie zeigt doch bei aller der Genreform geschuldeten Vorhersehbarkeit, in gelungener Weise sich in der Enge Gazas veräußernde innere Konflikte der handelnden Figuren. Unbenommen ist der Film trotz seiner historischen Verortung auch als Kommentar zur Gegenwart des israelisch-palästinensischen Konflikts gemeint. Dennoch sollte man nicht zu vorschnell über den historischen Index des Films hinweggehen. Die Intifada und insbesondere die Situation in Gaza Ende der achziger Jahre waren ein zentraler Auslöser für die wachsende Forderung nach einem Friedensschluss mit den Palästinensern und dem Ende der Besatzung innerhalb der israelischen Bevölkerung.
Es ist kein Zufall, dass sich Horowitz gerade diesem Zeitpunkt und diesem Ort zuwendet, denn beides wirkt über den Rückzug aus Gaza im Jahr 2005 und die Machtübernahme durch die Hamas mit den darauf folgenden Terroraktionen und Raketenbschüssen bis heute fort. Gaza ist, das verdeutlicht der Film, nachgerade eine Art 'Urtrauma' der Besatzung. Im Israelischen Kino war dieses 'Urtrauma' zunächst mit dem Yom Kippur Krieg verbunden gewesen. Amos Gitai hat dies in KIPPUR bebildert. Abgelöst wurde es von der Erinnerung an den Libanon, erst in Haim Bouzaglos TIME OF CHERRIES, dann in Joseph Cedars BEAUFORT und zuletzt in Ari Folmans WALTZ WITH BASHIR. ROCK THE CASBAH knüpft an diese Vorgänger an und beleiht darüber hinaus visuell und narrativ auch zahlreiche amerikanische Vorbilder. Dabei versucht er einerseits die Perspektive der israelischen Soldaten nachzustellen und andererseits, den Palästinensern, in Gestalt der Familie deren Dach die Armee buchstäblich besetzt hält, ein Gesicht zu geben.

Ein weiterer Spielfilm über den israelisch-palästinensischen Konflikt nimmt dazu die diametral entgegengesetzte Perspektive ein. Im Forum der Berlinale ist der Film LAMMA SHOFTAK der palästinensischen Regisseurin Annemarie Jacir zu sehen, der von dem Jungen Tarek erzählt, der nach dem Sechstagekrieg mit seiner Mutter in einem Flüchtlingslager in Jordanien strandet. Dort bleibt er ein Außenseiter und sehnt sich zurück nach seinem Elternhau und seinem Vater. Bei seinem Versuch, in die nun von Israel besetzten Gebiete zurückzukehren, trifft Tarek auf eine Gruppe palästinensischer Kämpfer, die in einem provisorischen Ausbildungslager für den von Arafat und der PLO propagierten "Freiheitskampf" trainieren. Regisseurin Jacir, die mit LAMMA SHOFTAK in gewisser Weise ein palästinensisches Nationalkino begründet, schwelgt in ihrem Historienfilm in einer nostalgischen Revolutionsromantik. Das Ausbildungslager erscheint als Ort der Gleichberechtigung der Geschlechter. Statt militärischer Hierarchie bindet die gemeinsame Sehnsucht die Kämpferinnen und Kämpfer aneinander. Jeder und jede wird so aufgenommen und gebraucht wie er oder sie ist. Und jeder und jede kann sich nach den eigenen Fähigkeiten einbringen und entwickeln. Ohne Frage beeindruckt der Film durch tolle schauspielerische Leistungen, insbesondere des jungen Mahmoud Asfa. Auch berührt der Film teilweise oft übersehene historische Ambivalenzen wie die herablassende und oft auch feindseelige Haltung der jordanischen Bevölkerung gegenüber den palästinensischen Flüchtlingen. Aber auf sehr einfache Weise konstruiert Jacir mit dem palästinensischen Ausbildungslager eine Idealgesellschaft, die unschwer als verklärte Vorwegnahme der palästinensischen Nation zu erkennen ist. Kritische Distanz gegenüber Krieg und Militär kann man in LAMMA SHOFTAK nicht erkennen. Im Gegenteil wird selbst noch die Rekrutierung von Kindern, die von der PLO tatsächlich in großem Umfang betrieben wurde, verklärt. In einer Szene geht der ausgelassene abendliche Tanz ohne jede kritische Tendenz in marschierende Stiefel und Drill über. Während es heute in jedem reflektierteren Kriegsfilm zum Standardrepertoire gehört, auch die Gegenseite zu zeigen, hält LAMMA SHOFTAK an der guten alten Kriegsverklärung im Kino fest: die Israelis erscheinen nur als gesichtslose akkustische Bedrohung oder in Gestalt eines Jeeps hinter einem Stacheldrahtzaun. Besonders explizit dem nationalen Narrativ zugetan ist aber das symbolische Ende des Films. In einer Szene fragt Tarek seine Mutter vorwurfsvoll, ob sie ihre Haare noch die nächsten zwanzig Jahre streng nach Hinten gekämmt tragen wolle. Zuvor hatte man den Jungen gesehen, wie er der schlafenden Mutter das lockige schwarze Haar ausbreitet. Die Zahl bezieht sich offensichtlich auf die Aussage einer älteren Frau am Anfang des Films, sie sei bereits seit zwanzig Jahren im Flüchtlingslager. In den Schlussszenen des Films, als Mutter und Sohn das "gelobte Land" hinter dem Stacheldraht erblicken und zur Rückkehr entschließen, löst sich dann das Haar der Mutter. Darauf wohl scheint sich auch der Titel "When I saw You" (wobei mit "You" Palästina gemeint ist) zu beziehen.
Wäre LAMMA SHOFTAK ein israelischer oder amerikanischer Film hätte man ihm sicherlich Kriegsverherrlichung und Propaganda vorgeworfen. In der Begründung des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vergebenen Filmpreises Cinema fairbindet heißt es hingegen, der Film erzähle "von den Fähigkeiten eines Kindes, Erwachsene daran zu hindern, sich mit etwas abzu­finden, wenn es doch Hoff­nung auf Verän­derungen gibt." Dass die Hoffnung, die Tarek antreibt und die das hochgradig symbolische Ende des Films als Schlussbild einfriert nichts anderes als das mantraartig wiederholte "Rückkehrrecht" der Palästinenser ist, das einer Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern bis heute entgegensteht, scheint den Preisgeber scheinbar nicht zu stören.

So zeigen ROCK THE CASBAH und LAMMA SHOFTAK als historische Kriegsfilme zweierlei Kriege und auch zweierlich Wahrnehmungen des israelisch-palästinensischen Krieges. Diese Wahrnehmung divergiert nicht nur in der jeweiligen Perspektive, sondern auch in der Haltung, die die beiden Filme zum Genre des Kriegsfilms und zum Krieg im Allgemeinen einnehmen. Während ROCK THE CASBAH die Ambivalenz und das Trauma der Besatzung als israelische Erfahrung auszudrücken versucht, wählt LAMMA SHOFTAK die nostalgische Verklärung des palästinensischen Freiheitskampfes. In einem interessanten Punkt aber treffen sich beide Filme. Nimmt man sie weniger als Rekonstruktionen einer Vergangenheit als vielmehr als Wunschprojektionen aus einer bestimmten Gegenwart heraus ernst, dann verdeutlichen beide Filme vor allem den Wunsch nach einer Rückkehr zu einem status quo ante, Gaza vor der Machtübernahme der Hamas und einen palästinensischen Befreiungskampf, dessen Gegenstand weniger der religiöse Fanatismus als der Ruf nach nationalem Selbstbestimmungsrecht im befreiungsnationalen Gewand war.

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