Mittwoch, 13. Februar 2013

YOUTH, oder das junge israelische Kino

Die Fachwelt ist sich überwiegend darüber einig, dass das junge israelische Kino derzeit eines der interessantesten und erfolgreichsten ist. Jedes Jahr im Sommer, werden im Ramen des traditionsreichen Jerusalemer Filmfestivals neue israelische Produktionen der Öffentlichkeit vorgestellt und beginnen ihre Reise durch die Kinosäle internationaler Festivals. In den letzten Monaten sind so viele israelische Spielfilme wie selten zuvor regulär in deutschen Kinos gestartet. Nach Festivalerfolgen in Jerusalem und Locarno war im Herbst Nadav Lapids HASHOTER/POLICEMAN zu sehen, ein anspruchsvolles Drama mit Genreelementen, das die gegenwärtigen sozialen Spannungen in der israelischen Gesellschaft zum Ausdruck brachte noch bevor die weltweit beachteten Sozialproteste auf den Straßen israelischer Städte begannen. Der Film war auch auf dem Jüdischen Filmfestival Saarbrücken zu sehen und ist Teil des Programms des kommenden Paul Spiegel Filmfestivals in Düsseldorf.
Weniger beachtet aber ebenfalls in deutschen Kinos vorgeführt worden ist Eran Kolirins HA-HITCHALFUT (THE EXCHANGE), ein kinematographisch spannendes Spielfilmexperiment über einen jungen Angestellten der Tel Aviver Universität und sein individuelles Ausbrechen aus seinem Alltag. Kolirin hatte vor einigen Jahren mit dem Film THE BANDS VISIT zahlreiche Auszeichnungen und Nominierungen auf internationalen Festivals erhalten. Zuletzt war in deutschen Kinos der Spielfilm YOSSI von Eytan Fox zu sehen, die Fortsetzung seines erfolgreichen Films über die Liebesbeziehung zweier im Libanon stationierter Soldaten. Fox erzählt in seinen Filmen immer wieder ebenso anrührende wie spannende schwule Liebesgeschichten vor dem Hintergrund der vielschichtigen Realität in Israel und der Region.
Neben Jerusalem ist das Internationale Filmfestival in Haifa sicherlich der wichtigste Abspielort für junge israelische Filmemacher. Im vergangenen Jahr war dort beispielsweise der bewegende Film IGOR AND THE CRANES JOURNEY von Yvgeni Roman zu sehen, dessen Coming-of-Age-Geschichte vor dem Hintergrund des jährlichen Fluges der Zugvögel erzählt wird, die regelmäßig im Huly Valey im Norden Israels Station machen. Der Film wird in Deutschland im Rahmen des Jüdischen Filmfestivals in Düsseldorf zu sehen sein. Ausgezeichnet wurde in Haifa unter anderem das beeindruckende Drama ALTA (OUT IN THE DARK) von Michael Mayer. Mayer erzählt in seinem mit hervorragenden Schauspielern besetzten Film über die Liebesbeziehung eines Palästinensers aus der Westbank und eines Israelis vor dem Hintergrund politischer Spannungen und lebensbedrohlicher Homophobie in den besetzten Gebieten. Ebenfalls ausgezeichnet wurde der in Israel überaus erfolgreiche Film FILL THE VOID von Rama Burstein, der bereits auf dem Filmfestival in Venedig begeistert aufgenommen wurde. Der Film erzählt von einer jungen Frau aus ultraorthodoxem Elternhaus, die den Ehemann ihrer verstorbenen Schwester heiraten soll. Burstein, die selbst religiös lebt und an einer renomierten Filmschule in Israel ausgebildet wurde, gelang damit ein ebenso differenzierter wie intimer Einblick in das ultraorthodoxe Leben in Israel.
Diese aktuellen Beispiele verdeutlichen die thematische Vielfalt des israelischen Kinos, das zwar seine Kraft zu komplexen und vieldeutigen Erzählungen aus der spannunsreichen geographischen, politischen und sozialen Lage des kleinen Landes zieht, sich aber nicht auf Themen wie den Nahostkonflikt reduzieren läßt. Das zeigte auch der im vergangenen Jahr für die Oscars nominierte Film FOOTNOTE von Joseph Cedar. Cedar, der in früheren Filmen bereits das Leben nationalreligiöser Siedler und israelischer Soldaten im Südlibanon thematisiert hatte, wendet sich in diesem ästhetisch wie narrativ ausgefallenden Film dem Generationenkonflikt in einer israelichen Akademikerfamilie zu und erzählt damit abseits von politischen Modethemen eine spannende Parabel der israelischen Gesellschaft. Leider ist der Film noch nicht in deutschen Kinos gestartet und es ist ausschließlich dem Jüdischen Filmfestival Berlin, dem ältesten und größten Festival dieser Art in Deutschland, zu verdanken, dass Cedars Film dennoch im vergangenen Jahr die deutsche Öffentlichkeit erreichen konnte.
Das Jüdische Filmfestival Berlin ist mittlerweile zum wichtigsten Ort für das israelische Kino in Deutschland geworden, auch weil israelische Filme auf den internationalen Filmfestspielen in Berlin kaum noch Platz zu finden scheinen. Cedars BEAUFORT war vor wenigen Jahren noch im Wettbewerb gezeigt worden. Eitan Fox war seit YOSSI & JAGER regelmäßiger Gast der Berlinale. Das Prequel YOSSI läuft nun parallel zu den Festspielen in Berliner Kinos. OUT IN THE DARK wäre eigentlich prädestiniert für die Panoramasektion gewesen, aber dort wie auf der gesamten Berlinale wird Israel fast ausschließlich als Ort des Nahostkonflikts präsentiert. Einzige Ausnahme ist Tom Shovals YOUTH, der von zwei Brüdern erzählt, deren Familie vor dem sozialen Abstieg steht und die darum ein junges Mädchen entführen, um von deren Eltern Lösegeld zu erpressen. Shoval siedelt seine durchaus universell angelegte Geschichte bewusst im Spannungsfeld der israelischen Realität an. Einer der Brüder hat gerade mit seinem Militärdienst begonnen und kehrt für die Entführungsaktion nach Hause zurück. Seine Waffe, ein alltäglicher Gegenstand in dem zur ständigen Verteidigung seiner Existenz gezwungenen Land, dient zur Ausführung der Entführung. Shoval verbindet in seinem Film auf diese Weise die kritische Reflektion israelischer Normalität mit der Anklage sich immer stärker zuspitzender sozialer Konflikte innerhalb der israelischen Gesellschaft. Wie fast alle Vertreter des jungen israelischen Kinos enthält er sich dabei allerdings plakativer Inszenierungen und filmisch verkleideter politischer Parolen. Der Film verfährt über weite Strecken eher beobachtend und sezierend, begleitet die Protagonisten und deren Familie und inszeniert die besondere Nähe zwischen den Brüdern genauso intensiv wie das Auseinanderdriften der Familie. Zusätzlich legt Shoval noch eine filmische Meta-Ebene über die Geschichte. Seine Protagonisten sind Filmfreaks, die sich in die Welten von Hollywood-Gangstern und Helden wie Rambo flüchten. Diese stehen Modell für die (schließlich unerwartet verlaufende) Entführung. Shoval nutzt diese Ebene, um dem Film immer wieder einen anderen Ton zu geben. Neben Beobachtung und sozialen Realismus treten auf diese Weise Genreverweise und ausgestellte Inszenierungen. So wird auch der Parabelcharakter des Films betont (schließlich kam es bisher so gut wie nie zu mit militärischen Waffen ausgeführten Verbrechen oder Gewalthandlungen in Israel), sowie die besondere Bedeutung des Kinos für die israelische Jugend.
Israelische Filme spiegeln auf wesentlich komplexere Weise als Medienberichterstattung und Nachrichten die vielschichtige Realität des Landes und seiner Bewohner wieder. Bereits vor zehn Jahren hatte der Regisseur Nir Bergman angesichts der Premiere seines Films BROKEN WINGS auf der Berlinale kritisiert, dass die internationale Filmwelt das israelische Kino meist nur durch die Brille des Nahostkonflikts wahrnehme. Junge Regisseure seien auch durch die Interessen ausländischer Filmförderungen oft gezwungen, die politische Situation des Landes zum Angelpunkt ihrer Filmerzählungen zu machen. Dabei wünsche sich die israelische Jugend nichts anderes als ihre Alltagsgeschichten erzählen zu können, Ausdruck einer Sehnsucht nach Frieden und Normalität. Zahlreiche deutsch-israelische Koproduktionen wie THE EXCHANGE aber auch YOUTH zeigen, dass sich in der Förderpraxis seitdem offensichtlich etwas geändert hat. Die Programmauswahl auf der diesjährigen Berlinale aber, die Israel wieder fast ausschließich als Ort kriegerischer Konflikte zeigt, fällt dahinter zurück.

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