Samstag, 9. Februar 2013

Versammeltes Filmerbe - Zur 50sten Ausgabe der Zeitschrift FILMBLATT

Es gibt nur wenige deutschsprachige Publikationen, die sich exklusiv der Filmgeschichte widmen. Die Zeitschrift FILMBLATTgehört, wenn auch noch immer wenig bekannt, ohne Frage zu den wichtigsten Veröffentlichungen ihrer Art. Ihr primärer Gegenstand ist das unbekannte, deutsche Filmerbe. "Deutsch" ist dabei im weitesten Sinne der Bedeutung zu verstehen. Vorgestellt und erschlossen wurden und werden Filme aus dem Kaiserreich, der Weimarer Republik, dem Dritten Reich, der Bundesrepublik, der DDR, Österreich, der Schweiz, deutschsprachige Filme aus den Niederlanden, Filmarbeiten deutschsprachiger Emigranten etc. Herausgegeben wird die Zeitschrift von CineGraph Babelsberg, dem Berlin-Brandenburgischem Centrum für Filmforschung. Filmforschung ist das umfassende Anliegen von Verein und Zeitschrift. Sie umfasst die Erschließung, Sicherung und Vorführung vergessener oder lange unbeachtet gebliebener Filmwerke aller Genres und Gattungen sowie ihre filmhistorische Einordnung und Analyse. Praktisch geschieht dies im Kinosaal, im Rahmen der Filmreihe Wiederentdeckt im Zeughauskino und der Reihe FilmDokument im Kino Arsenal. Auf- und nachbereitet werden die Sichtungen dann in den Aufsätzen, die regelmäßig im FILMBLATT publiziert werden.
Soeben ist die 50ste Ausgabe der Zeitschrift erschienen. In bewährter Weise werden darin bisher kaum beachtete und wenig erforschte Filme und Akteure der deutschen Filmgeschichte vorgestellt. So beispielsweise die Drehbuchautorin und Regisseurin Rosa Porten, deren ungleich bekannterer Schwester Henny Porten CineGraph Babelsberg die letzte Ausgabe der Publikationsreihe Filmblatt-Schriften widmete, oder der historische Sittenfilm PEST IN FLORENZ (1919). In der filmhistorischen Forschung bereits bekanntere Filmemacher werden unter neuen Perspektiven untersucht. So zum Beispiel der NS-Wochenschau-Filmberichterstatter Walter Frentz mit seinen bisher unbekannten frühen Amateur-Sportfilmen von 1931/32 und späteren Arbeiten zwischen 1936 und 1966.
Vor allem aber rahmen zwei programmatische Beiträge das Jubiläumsheft, die auf bemerkenswerte Weise zentrale Fragen der historischen Filmforschung im digitalen Zeitalter aufgreifen und deutlich machen, wie wenig Filmforschung, Filmbewahrung und Filmvermittlung Angelegenheit weltabgewandter Archivare sind und wie sehr die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Films die Gegenwart und Zukunft des Kinos erhellen und bereichern kann. In seinem Essay "Wider die Selbstgenügsamkeit" greift Klaus Kreimeier das ambivalente Verhältnis von Filmgeschichtsschreibung und Digitalisierung auf und wendet es auf unkonventionelle Weise in verschiedene Richtungen. Dabei kommt er zu dem überzeugenden Fazit, die Erforschung der Filmgeschichte könne produktiv "zum Verständnis unserer medialisierten Lebenswelt" beitragen. Aus dieser unzweifelhaften Aktualität der Filmforschung aber zieht er auch die Konsequenz, dass sich filmhistorische Forschung nicht nur als "Hüterin eines Erbes, das es dem Vergessen zu entreißen" gelte, verstehen, sondern "durchaus an der Diagnose der Gegenwart beteiligen" solle.
Michael Wedel knüpft in seinem Beitrag "Zeigen, Versammeln, Bewahren" an ähnliche Fragen an. Eingebettet in eine übergreifende "Ökonomie des Verschwindens" skizziert er eine "Ästhetik des Bewahrens", die er am Gegenstand von Filmmuseen, Kinos (wie dem Zeughauskino, zu dessen 20jährigen Bestehen der Text als Festvortrag gehalten wurde) und Filmforschung verdeutlicht. "Zeigen, Versammeln, Bewahren" - diese Trias konstituiert nach Wedel das Museum wie das Kino, deren Ziel die Vorführung von Objekten der Vergangenheit, die Versammlung eines Publikums und das Bewahren der Geschichte ist: "Wenn dem Kino - aus der vornehmen Perspektive des Museums betrachtet - lediglich der Rang eines Seiteneinstiegs in die Geschichte zukommen mag, sind doch beide, Kino und Museum, in ihrer ästhetischen Praxis eng miteinander verbunden. Darin nämlich, dass sie das Gesammelte und Bewahrte nicht nur irgenwie herzeigen, sondern darauf aus sind, ein Publikum zur Anschauung und Reflexion des Gezeigten an einem Ort zu versammeln, um auf diese Weise über den jeweiligen Gegenstand als solchen hinaus einen Eindruck der historischen Wirklichkeit hinter dem Gezeigten im öffentlichen Bewusstsein zu bewahren."
Diese Beschreibung trifft zweifelsohne auch auf die Arbeit von CineGraph Babelsberg und die Zeitschrift FILMBLATT zu. Die enge Verbindung zwischen dem Kinosaal als Ort praktischer Filmforschung und der Zeitschrift als Medium filmhistorischer Reflexion und Einordnung stellt auf besonderer Weise die Möglichkeiten angewandter Filmforschung und ihre Relevanz heraus - vorausgesetzt, die Geschichte des Kinos wird dabei auch in ein spannungsreiches Verhältnis zu ihrer Gegenwart und Zukunft gebracht.

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